Es ist November. Kalt, grau und nebelig. Meine Energie ist auf einem Nullpunkt und ich fühle mich meist bleiern müde. Daher liege ich in der Sauna, um ein bisschen Energie durch Wärme zu sammeln, die mich für das triste Draußen wappnet und mich wie ein Patronus, der von innen ausstrahlt vor der Kälte schützt, die um sich greift.
Plötzlich ertönt eine laute Sirene. Und nichts passiert. Wir alle liegen weiter da im Ruheraum und versuchen uns zu entspannen. Neben mir liegt eine Frau die strickt und außerdem ihr Buch mit dem Titel „Beklaute Frauen“. Schöne Lektüre, denke ich und schäme mich ein wenig für meinen Krimi, wo ich das gleich Buch doch schon zuhause stehen habe und plane, es auch bald zu lesen.
Die Sirene tönt weiter laut durch die ganze Saunaanlage. Ich werde nervös. Entspannen und lesen ist nicht mehr so richtig möglich. Ich schaue mich um nach Personal und danach, wie die anderen Anwesenden reagieren. Aber es kommt keine Reaktion. Ich frage: „Sollten wir den Raum verlassen? Ist das vielleicht ein Feueralarm?“ Wir zucken gemeinschaftlich mit den Schultern und sind ratlos, was zu tun ist. Irgendwann kommt eine Frau in Bademeister*innenkleidung und schaltet kommentarlos den Alarm aus. Scheint was mit einem Schließfach gewesen zu sein. „Sie hätte uns bestimmt gesagt, wenn es was Gefährliches wäre“, sagt die strickende, interessante Lektüre lesende Frau. „Ja, vermutlich…“ Keine Ahnung.
Ich meine, können wir wirklich damit rechnen, dass uns derzeit Menschen, die für uns eine gewisse Verantwortung tragen und eine Vorbildfunktion haben, vor Gefahren warnen? Dass sie sich mit aller gegebenen Sorgfalt dafür einsetzen, uns vor Gefahren zu schützen?
Es fühlt sich wirklich nicht so an.
Ich trage in letzter Zeit eine ständige Grundangst oder Grundnervosität mit mir herum. Eigentlich genau so, wie es mir mit der Sirene in der Sauna ging. Ich wittere große Gefahr, aber alle um mich herum benehmen sich noch irgendwie normal. Zeigen ihre Angst nicht ganz deutlich, sollten sie sie spüren. Und wenn die Sprache darauf kommt, zucken wir alle gemeinschaftlich mit den Schultern, weil wir nicht wissen, was zu tun ist. Und diejenigen mit der höchsten Verantwortung warten ab oder gießen Öl ins Feuer.
Meine Ängste offen zu thematisieren ist auch nicht leicht derzeit. Denn es ist schwer einzuschätzen, wo man was ungestraft sagen kann. Was ist wo sagbar? Was könnte mich meinen Job kosten? Und ist das wirklich so? Was ist in Freundschaften sagbar und was könnte das Ende einer Beziehung bedeuten?
Und ständig gibt es diesen Alarmton, der unter allem mitschwingt. Jeden Tag. Er kommt aus vielen Richtungen, weltweit und ganz in der Nachbarschaft. Er macht nervös, raubt Kräfte, wird lauter und doch gibt es wenig Vorbilder, an deren Verhalten man sich ausrichten könnte. Die sagen, ja, es gibt hier eine Vielzahl von Gefahren, denen wir dringend und klar begegnen müssen. Dazu müssen wir zusammenstehen, unsere Verbundenheit stärken und dürfen unsere Beziehungen nicht durch oberflächliche Streitereien zerstören. Vorbilder, die Entscheidungen treffen, die diese Gefahren mindern und sie nicht verschärfen.
Und doch streiten wir über Oberflächlichkeiten, in denen es dennoch um die ganze Existenz zu gehen scheint und trauen uns immer weniger, darüber zu sprechen, wie es uns wirklich geht. Was uns wirklich Sorgen bereitet. Wie wir wirklich zu bestimmten bezirklichen oder weltpolitischen Themen stehen. Aus Angst vor Beziehungsverlust, wo die Beziehung scheinbar ohnehin nicht stark genug ist. Oder aus „Selbstfürsorge“, die vielleicht nur eine Flucht vor der Welt und ihren derzeitigen Gefahren ist. Davor Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht aus Ermangelung an Vorbildern. Es gibt einen Rückzug ins Kleine, Private, weil die Räume für echte Dialoge fehlen. Und die Räume, in denen viele einfach nur noch „funktionieren“ keine sind für echten Kontakt, der uns die nötige Kraft geben könnte uns diesen Entwicklungen gemeinschaftlich, ganz ohne Schulterzucken, entgegenzustellen. Mutig zu sein. Zu widersprechen. Wieder zu sprechen.