Es gibt keine Worte und daher fällt es mir schwer zu beginnen.
Dieses Thema, Israel/Palästina, versetzt mich immer in ein Gefühl der Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Ein Gefühl, nicht sprechen zu können oder zu dürfen, niemals die Worte zu haben, die es bräuchte. Eingemauert, wort- und sprachlos.
Im Dezember sah ich Rotem Levi und Osama Eliwat in Dahlem. Sie sind beide „Combatants for Peace“, also ehemalige Kämpfer beider Seiten, die der Gewalt abgeschworen haben und sich nun mit gewaltfreien Mitteln gemeinsam mit vielen anderen auf den Weg begeben haben, sich für ein friedvolles Miteinander einzusetzen. Sie leben dadurch in großer Gefahr, werden aus den eigenen Bekannten- und Familienkreisen angefeindet, als Verräter verschrien. Wenn sie nun zurück nach Hause reisen, droht ihnen Haft.
Sie sah ich also im Dezember, als sie ihre Lebensgeschichten teilten und danach für Fragen offen waren. Rotem begann mit seiner Geschichte aus Israelischer Sicht und ich begann schon beim ersten Satz zu weinen. Es waren stille Tränen, die aus meinem tiefsten Inneren kamen und nicht zu stoppen waren. Sie liefen leise und beständig aus meinen Augen. Die gesamten zwei Stunden der Veranstaltung. Danach gab es noch die Einladung zu einem gemeinsamen Ausklang, den ich schüchtern annahm, weil ich die beiden noch nicht verlassen wollte. Osama kam auf mich zu und sagte: „I must hug you now.“ Und das tat er. Lange und feste und es fühlte sich nach Verbundenheit an. Wir redeten noch eine Weile und ich war mir sicher, dass ich die beiden einladen möchte für meine Kolleg*innen und andere Interessierte. Dass sie ein Geschenk sind, das wir annehmen sollten.
So versuchte ich Gelder und Räume zu finden und es dauerte eine Weile. Bezeichnenderweise verlor ich vor dieser Veranstaltung meine Stimme. Was die Sprachlosigkeit noch spürbarer machte. Es kam über eine Woche kein Ton aus meinem Hals. Kein Piep, so sehr ich mich auch anstrengte. Das kann ich nicht als Zufall abstempeln. An solche Zufälle glaube ich nicht mehr. Dafür habe ich zu viel gelernt in den letzten Jahren.
Die Veranstaltung fand also statt und ich moderierte sie krächzend mit den ersten Tönen, die meine Stimme wieder rausrückte. Und die Atmosphäre war für mich magisch. Rotem und Osama haben eine solch friedvolle Ausstrahlung, dass sie es schaffen, dass alle Menschen im Raum ihre Rüstungen fallen lassen, ihre Egos beiseitelegen und andächtig zuhören. Und meine Dankbarkeit für dieses Zuhören ist so immens groß. Denn wenn es um Israel und Palästina geht, hören wir uns in Deutschland nicht mehr zu. Jede Person hat eine ganz starke Meinung zu der einen oder anderen Seite. Jede*r weiß, was die Wahrheit ist und vertritt diese mit aller Heftigkeit an Emotionalität und tiefem Leid. Aber wir hören uns nicht zu. Diese Räume des Zuhörens sind eine Rarität und ein unermessliches Geschenk.
An diesem Abend weinte ich nicht während der Veranstaltung. Doch ungefähr zwei Stunden nach Ende war dieser Brunnen in meinem tiefsten Inneren wieder geöffnet und blieb es noch den gesamten nächsten Tag. Ich wachte schon mit Tränen in den Augen auf und sie versiegten auch nicht bis spät in die Nacht. Und ich kann sie mir nicht erklären. Keine Worte, die ich habe, können sie beschreiben oder erklären. Gut, ich war 2009 in Palästina und habe ein ganzes Jahr gebraucht, um meine tiefe Erschütterung über all die Gräuel derer ich Zeugin wurde zu verarbeiten. Ich war ein Jahr lang in tiefer Angst, dass etwas Schlimmes passieren wird, wenn ich einen schönen Tag hatte. Ich hatte Angst, wenn es an der Tür klingelte. Alles Leid, was ich auf den Straßen sah, spürte ich als wäre es mein eigenes. Ich hatte keine Filter mehr, keine Grenzen.
Aber auch diese Erfahrungen erklären nicht die Tiefe meiner Trauer, wie ich sie auch jetzt wieder spüre. Die Erfahrungen reichen nicht aus dafür. Sie erklären es nicht. Sie erklären auch nicht, warum ich mich so sehr hingezogen gefühlt hatte in dieses Land zu reisen und es ist auch unerklärlich für mich, warum mich die Erfahrungen so sehr bestürzt, mein Sein eingestürzt hatten.
Es fühlt sich so an, als wären es nicht meine Tränen. Nicht meine tiefe Trauer. Als wäre es etwas viel Älteres und Tieferes, was mit mir persönlich nichts zu tun hat.
Und es kommt mir so vor, als wären wir drei Einheiten, mit unseren jeweiligen eigenen kollektiven Traumata, aus denen heraus wir nicht rational handeln können. Und dann sind unsere kollektiven Traumata zu einem großen Knäuel unauflösbar miteinander verknüpft. Für mich wirkt es so, als bräuchten wir gemeinsame, kollektive Traumaarbeit und Heilung, um diese Spirale der Gewalt stoppen zu können. Und ich bin so unendlich traurig, dass Deutschland seine – wie ich fest überzeugt bin – Schlüsselrolle in diesem Drama und Leid nicht einnimmt. Auch gefangen im ungeheilten Trauma zieht Deutschland all die falschen Schlüsse aus der Geschichte und versäumt es, die Verantwortung zu übernehmen, ein solches Leid nicht geschehen zu lassen.
Ich hoffe, wir schaffen es irgendwie mehr Räume des Zuhörens und des Mitgefühls für das tiefe Leid, das mit dieser Geschichte verbunden ist zu öffnen und zu halten. Um darüber zu heilen und endlich aus der Spirale der Gewalt auszusteigen und Worte mit- und füreinander zu finden.