Ich tanze. In meiner kleinen Wohnung, vor dem Laptop. Nehme teil an einem Tanzworkshop.
Es ist kurz nach meiner Entscheidung, das Auslaufen meines Vertrages als eine lange überfällige Atempause zu nutzen. Denn atmen kann ich nur noch mit Cortison.
Seit 2004 hatte ich immer zwei bis drei Jobs, das ein oder andere Ehrenamt dazu, habe parallel ein Studium und drei Ausbildungen absolviert. Bin von der Übersetzung zur Untertitlung und von den Medien dann hin zu Beratung, Training, Coaching.
Das Motto, meiner Website und meiner Visitenkarten lautet: „Nimm dich wahr“.
Das ist mein Arbeitsfeld geworden, weil es mein Thema ist. Weil ich sehr viele Möglichkeiten kenne, mich nicht wahrzunehmen, mich zu übersehen, weiterzumachen, auch wenn ich nicht mehr kann.
Und nun, so dachte ich, ist es an der Zeit, dass ich mein Motto endlich selbst noch ernster nehme und möchte meinem Körper zeigen, dass ich wirklich will, dass er atmen kann. Dass ich mir wirklich Zeit zum Atmen nehme. Und über die Zeit Energie auf meine eigenen Herzensprojekte lenke.
Beim Tanzen soll ich meinen Raum um mich spüren. An den Seiten ist es eng. Aber nach vorne ist ganz viel Raum. Unendlich viel Raum. Und der ist wahnsinnig beängstigend! Was wird diesen Raum füllen? Darf er leer sein? Was wird mich erwarten? Wie setze ich den ersten Schritt hinein in diese unbekannte Weite?
Es ist ein vorsichtiges Tasten mit den Füßen, das mich in diesen großen, leeren Raum bringt. Und mit der Zeit kommt der Genuss. Die Weite. Die Freude. Der auslandende Tanz mit Sprüngen und Drehungen. Es ist großartig und ich fühle mich danach bestärkt in meiner Entscheidung zur Atempause, hinein ins Ungewisse.
Dann kommt die Zeit der realen Atempause.
Und wieder merke ich, wie schwer mir das fällt. Wie wenig Freiraum ich mir geben kann, ohne dass die Angst kommt.
Ich kaufe mir vorher für die freie Zeit noch etliche Bücher, um mehr über Anti-Rassismus und Sexismus zu lernen, buche einen Arabischkurs, mache Besuche bei Freund*innen aus. Ich finde neue Räume für Beratungen, plane neue Trainings. Die Zeit ist also gut und durchaus sinnvoll gefüllt, noch bevor sie beginnt.
Aber, ich traue mich nicht, dieses vorsichtige Tasten in den leeren Raum auch in der Realität auszuprobieren. Möchte schon lange vorher wissen, wie der Raum gefüllt ist. Hinzu kamen noch Probleme innerhalb der Familie und zack! Atmen nicht möglich.
Aber gut. So einfach ist es eben nicht, alt bekannte Muster abzulegen. Es sind nun fast drei Monate um.
Der Arabischkurs ist fertig, die meisten Bücher sind gelesen.
Zeit, einen neuen Versuch zu starten, ins Ungewisse zu treten, auf mich zukommen zu lassen, was wird, mit Freude meine eigenen Projekte zu gestalten und den Tanz der Weite zu beginnen.