Es ist ein viel besprochenes und wichtiges Thema. Die Integration. Doch was ist das überhaupt, die Integration? Laut John W. Berry ist es der Punkt, an dem ich das meiste von mir selbst und das meiste von der Gruppe/Gesellschaft, in die ich mich integrieren möchte vereine. Es geht also um eine Aushandlung zwischen dem, was ich als Person mitbringe, also Erfahrungen, Kultur, Wissen etc. und den Werten und Regeln und Vorstellungen der Gruppe.
Ich befinde mich gerade eigentlich täglich in diesem Spannungsfeld und es ist wirklich kein Zuckerschlecken. Wer bin ich? Wie viel von mir will ich unbedingt behalten und einbringen in das Neue? Und in welchen Fällen handele ich hauptsächlich im Sinne des Systems in dem ich mich nun bewege? Und woher weiß ich eigentlich, wie dieses System funktioniert?
Ich arbeite nun sowohl in der Jungendstrafanstalt als auch als Bildungsbegleiterin für junge Geflüchtete an verschiedenen Schulen Berlins. Dass ich jemand bin, die dadurch immer wieder aufs Neue von außen in ein geschlossenes System hineintritt, wird mir absurderweise bei jedem Gang zur Toilette wieder deutlich gemacht. Denn ich habe keinen Toilettenschlüssel. Und der Schlüssel ist das Machtsymbol für das freie Bewegen innerhalb des geschlossenen Systems. Über diese Macht verfüge ich nicht. Ich muss immer höflich darum bitten, zum Klo gebracht zu werden. Im Gefängnis gilt das wortwörtlich, da ich auch durch all die verschlossenen Türen hin zur Toilette nicht ohne Begleitung hindurch komme. In der Schule darf ich wenigstens alleine dorthin gehen.
Mir wird also in einem sehr intimen Bereich die Autonomie entzogen.
Ich bringe mich, mit meinem kulturellen Hintergrund der Konfliktberatung in diese Systeme ein, in denen Konflikte eher als störend oder gar gefährlich angesehen werden und wo diese höchstens mit einem „Wer hat angefangen“ und „Entschuldige dich!“ bearbeitet werden. Ich bin mir sicher, dass sowohl ich als auch Gefängnis und Schule die Werte unserer Verfassung als Grundlage unserer Arbeit haben. Nur haben wir unterschiedliche Wege, dies umzusetzen. Ich komme mit anderen Methoden und Ansichten in sehr starre Systeme hinein, mit Wertschätung statt Bewertung, mit Selbstverantwortung statt Disziplinierung. Ich bin ein Fremdkörper, der vielleicht auch aufzeigt, wo etwas anders laufen könnte. Das ist nicht immer willkommen. Selbst in einem Arbeitsfeld, in dem alle daran arbeiten, Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren tut sich bei Weitem nicht jede*r leicht, neue Kolleg*innen zu integrieren, sich zu öffnen und einen zuzulassen. Es ist spannend, wie viel des großen Systems sich in diesen kleineren Systemen wiederspiegelt.
Und ich als Außenstehende, bin auch sehr darauf angewiesen, dass mir, wenigstens an manchen Stellen, Menschen eine Tür öffen. Dass sie mich herzlich empfangen, fragen wer ich bin und was ich mache. Meine Perspektive hören. Egal, ob wir dann einer Meinung sind. Diskussionen und der Austausch zu wichtigen Fragen sind ja ein wichtiger Prozess der Integration, nicht war? Aber es tut allein schon gut, wenn Menschen keinen Widerstand aufzeigen, mich überhaupt reinzulassen, anzuhören und als neuen Teil des Ganzen zu akzeptieren.
Und so ist es auch in der „größeren“ Integration. Es ist eben eine Leistung, die alle Seiten betrifft. Auch jemand, der nach Deutschland kommt und hoch motiviert ist, sich hier in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu integrieren braucht wenigstens diese kleine Öffnung in dem geschlossenen System, das Deutschland, meines Erachtens leider zu oft noch ist. Diese kleine Tür, die es überhaupt möglich macht, gesehen zu werden und zu zeigen, wer man ist und welche Qualitäten man mitbringt.
Diese Öffnungen gibt es zum Glück immer wieder. Firmen, die sich darauf einlassen, Geflüchtete als Praktikanten zu nehmen. Die dann leider wieder abspringen, weil sie merken, dass ihre Kunden das nicht gut heißen. Oder jene Arbeitgeber, die einem Jugendlichen einen Ausbildungsvertrag geben würden, auch ohne Schulabschluss, einfach, weil er richtig gut und motiviert arbeitet. Und dann schlägt die Tür vielleicht wieder zu, weil schon zu häufig diese motivierten, fleißigen Mitarbeiter doch noch abgeschoben wurden. Oder weil es zu viel Aufwand ist, die Ausländerbehörde dazu zu bringen, diesem Menschen doch noch die Erlaubnis der Erwerbstätigkeit zu erteilen.
Es ist ein schwieriges Thema, das von mir ein hohes Maß an Frustrationsfähigkeit abverlangt. Und ich habe gerade erst damit angefangen... Ich hoffe, dass sich das politische System irgendwann doch auch mehr öffnet, wie all die netten Menschen, die den Geflüchteten eigentlich Chancen geben wollen und auch merken, welche Bereicherung dies für ihr Unternehmen ist. Auch wenn das natürlich nicht immer leicht ist. Denn, wie Aladin El-Mafaalani es in „Das Integrationsparadox“ beschreibt, bringt gelungene Integration eben nicht, wie so oft falsch angenommen, viel Harmonie, sondern führt ganz natürlich zu mehr Konflikten. Da mehr Menschen am Tisch sitzen und darüber mitbestimmen wollen, was bestellt wird und wie. Es erfordert ein Umdenken. Hin zu der Öffnung auch für Konflikte, die es ermöglichen ein zukünftiges Zusammenleben gemeinsam zu gestalten.
Das wiederum macht mich froh, denn so wird es mir wohl lange nicht an Arbeit und spannenden Begegnungen mangeln :-)
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