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Gedankenspiele #3 - (Schein-)Kontakt?

Es ist spät am Abend und ich stehe am Nordbahnhof, warte auf die S-Bahn.

Außer mir sind noch ungefähr sieben andere Menschen auf dem Bahnsteig. Und außer mir blickt wirklich ausnahmslos jede*r auf das Display eines Smartphones. Alle stehen oder sitzen sie in vorn über gebückter Haltung da.  Den Blick nach unten. Kopf gesenkt. Ich versuche Blickkontakt zu jemandem zu kriegen, bin aber chancenlos. Ein seltsames Bild. Irgendwie düster.

 

So sitzen wir alle immer kontaktlos mit gesenkten Köpfen irgendwo rum.  Denn ganz ausschließen aus dieser Entwicklung kann ich mich leider auch nicht.

(Zum Beweis habe ich ein Foto von facebook gewählt ;)

 

Klar, wir haben eigentlich ja die ganze Welt bei uns in diesem kleinen Gerät. Können überall hin reisen damit, lesen, was passiert, Kontakte zu Freunden in fernen Ländern halten. Und doch geht der Kontakt grundsätzlich verloren, nicht wahr? Es ist unmöglich den Blick eines anderen zu erhaschen, jemandem in die Augen zu sehen, ein Lächeln zu schenken oder zu erhalten. Blicke ich nicht in ein Handy stehe ich vollkommen allein und kontaktlos. Und tue ich es, habe ich den Scheinkontakt zur Welt. Aber ich spüre sie ja nicht. Ich bin nicht da. Aber auch nicht im Hier. Ich rieche den Ort nicht, von dem ich lese, kann ihn nicht anfassen oder spüren. Wir sind alle kontaktlos vernetzt. Und da wir nicht fühlen, dass wir gerade an einem bestimmten Ort sind, ihn gar nicht wirklich wahrnehmen, indem wir tief ein- und ausatmen, die Gerüche riechen, die Geräusche hören, den Wind spüren  und die eigenen Gefühle dazu zulassen, brauchen wir ein  „Selfie“, um zu beweisen,  dass wir existieren. Dass wir an diesem Ort waren. Wirklich und wahrhaftig. Selfies machen mich traurig und schrecklich wütend zugleich. Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich Menschen dabei beobachte, wie sie für sich selbst posieren.  Neulich war ich auf einer Veranstaltung, auf der Menschen ihre Lieder vorstellen konnten. Einer der Liedtitel hat es mir angetan. Der Song selbst war gar nicht so gut. Aber der Titel! „Spiegelselfies sind noch keine Selbstreflektion“. Herrlich! Spitz und auf den Punkt!

 

Und auch dieses ständige gebeugte Stehen kann doch nicht gut für den Körper und die Psyche sein. Gerade stehen, mit erhobenem Kopf. Das gibt Stärke und Selbstbewusstsein. Was in aller Welt bringt uns dann ein gesenkter Kopf und hängende Schultern?

Gefühle brauchen Ausdruck. Das habe ich nochmal ganz deutlich bei einem Seminar von Jorgos Canacakis in Essen gespürt. Das bringt Rührung. Dinge in Bewegung. Und Ausdruck braucht die Kreativität. Etwas malen, Musik machen, ein Gedicht schreiben, Tanzen.

Ich bin so dankbar, dass ich mit meiner Arbeit immer wieder in diese Art des Ausdrucks gehen kann. Dass ich in Seminaren den Raum für echten Kontakt bieten kann, für den Ausdruck von dem , was uns beschäftigt, in uns steckt. Es zu teilen mit anderen und sich zu freuen über die Reaktionen und die Impulse, die sie uns geben. Es tut wahnsinnig gut. Schön, wenn am Ende alle finden, dass dies aber wirklich eine ganz besondere Gruppe war und es mit anderen Personen nicht so gut geklappt hätte. Stimmt, es war eine ganz besondere Gruppe. Aber mit anderen Personen hätte es auch gut geklappt. Denn es bewegt sich immer was, wenn wir uns spüren und öffnen und andere daran teilhaben lassen. Das ist die Magie des Kontaktes.

Ich durfte das in diesem Jahr in internationalen Gruppen erleben, genauso wie mit den Jugendlichen im Gefängnis, die fest der Überzeugung sind, dass eben diese anderen Personen ihre „Brüder“ sind und es deshalb klappte. Auch wenn sie sich vorher gar nicht kannten oder sich sogar noch die Köpfe hatten einschlagen wollen. Es ist wirklich magisch für mich, wenn mir diese Jungs am Ende Gedichte vorlesen oder schnipsend und fast tanzend neben mir stehen und strahlen. Was für ein Reichtum!

Somit wünsche ich euch allen viel Kontakt und Freude an den Weihnachtstagen und einen guten Rutsch ins neue Jahr. 2019 wird sicherlich spannend! Denn, wie ich in meinem kleinen Workshop zum Thema Jahreswechsel erfahren durfte, ist bei vielen Menschen scheinbar mitte des Jahres 2018 ein Knoten geplatzt und etwas ist in Bewegung geraten. Ich hoffe, das ging euch auch so!

P.S. Ich möchte gerne mehr Tanz in meine Arbeit einfließen lassen und suche nach Probanden, die im Januar oder Februar mit mir einen kleinen Tanzworkshop machen möchten. Ich würde mich freuen! Auf dass wir aus der gebeugten Haltung in all unsere Bewegungsmöglichkeiten kommen!

 

 

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